Donnerstag, 9. Mai 2019

Vorfreude und Enttäuschung // Gedanken zum deutschen Frauenfußball vor der WM

Keinen Monat dauert es mehr, dann steht das größte Fußballevent dieses Sommers an.
Nicht das Champions-League-Finale zwischen Tottenham und Liverpool (obwohl das bestimmt auch klasse wird).
Nein, es ist WM! Im Fußball. Der Frauen.
Habt ihr nicht mitbekommen? Dann müsst Ihr ja völlig hinterm Berg leben.
Man kann doch keine Stunde fernsehen, ohne auf die Übertragungen der Öffentlich-Rechtlichen hingewiesen zu werden; kann keinen Kilometer in der Stadt gehen, ohne die Konterfeis der deutschen Spielerinnen zu sehen; und die Twitter-Timeline funktioniert gar nicht, ohne dass man auf den FIFA Women's World Cup 2019 in Frankreich heiß gemacht wird.

Ach so, ihr lebt gar nicht in England oder den Niederlanden?
Tja, in der deutschen Fußballrepublik läuft es leider nicht ganz so. Hierzulande sieht man (Stand: 09.05.2019) keine Hype-Videos der DFB-Frauen, keine Werbung für den tollen Sport und spürt kaum Vorfreude, die einem entgegenkommt. Als Fan muss man sie selbst ausstrahlen.
Aber warum ist das so?

Sicher keine leicht zu beantwortende Frage. An der generellen Ablehnung gegenüber Fußball spielenden Frauen und Mädchen? Auch. Aber nicht mehr ganz so, wie früher. Je nachdem, in welchem Teil meines Umfeldes ich das Thema Frauenfußball anschneide, kommen mir über seltsame Blicke ("Echt, das guckst du?"), prinzipielle Ablehnung oder entsprechende Scherze (, die ich irgendwie nicht mehr witzig finde) bis zu auf Höflichkeit gründendem Interesse entgegen - unabhängig vom Geschlecht. Doch einige Sportbegeisterte schauen sich große Turniere bzw. große Spiele in solchen dann schon an, vergessen danach aber schnell wieder.
Ist das die fehlende Identifikation? Gibt es in Potsdam mehr Frauenfußballfans als in Leipzig? Vermutlich. Ich selbst benötige aber keinen Lieblingsverein in der Frauen-Bundesliga, vor allem deshalb, weil ich eher einzelne Spielerinnen klasse finde, als die Vereine. Ich schau' gern die Spiele des VfL Wolfsburg, weil mich z.B. Ewa Pajor diese Saison fasziniert; verfolge die Bayern, weil starke Rückkehr von Melanie Leupolz nach recht langer Verletzung beeindruckt; will wissen, wie Arsenal oder Barcelona gespielt haben, weil ich mich bei der EM 2017 in so ziemlich jede Niederländerin "verliebt" habe. Doch das wird und kann nicht jedem so gehen, der nicht so tief in der Materie steckt.

Ist es die fehlende Attraktivität? Das ist gewiss Ansichtssache. Ohne es chauvinistisch zu meinen: Frauen sind nicht so stark, nicht so groß und nicht so schnell, wie Männer. Die anatomischen Unterschiede wirken sich natürlich auf das Geschehen auf dem Platz aus, das Spiel ist langsamer. Zu sagen, dass einem deshalb Männerfußball eher zusagt, ist nachvollziehbar und eben eine persönliche Ansicht. Ich kann beidem etwas abgewinnen. Und ich erwische mich bei manchem Bundesliga-Spiel bei dem Gedanken, dass mich diese Schauspielerei, die kleinen Fiesheiten, die Provokationen in so mancher Begegnung derart anöden, dass ich mir wünsche, DFB-TV würde SC Sand gegen FFC Frankfurt übertragen.
Jede Frau zeigt in ihrem Sport genauso viel Einsatz und Wille, Kampf und Leidenschaft, wie die Herren. Auch wenn die Spiele anders sind, stellt allein dieser Fakt den Frauenfußball für mich auf die gleiche Stufe, wie den der Männer.

Fehlende Zugänglichkeit? Damit würden wir uns dem (meiner Meinung nach) Kern schon annähern - der Präsentation. Man kann die Spiele einfach kaum sehen. Zwar hat immerhin Sport1 bereits in der Saison 2017/2018 damit begonnen, gelegentlich ein Spiel zu zeigen und dies 2018/2019 etwas verstärkt. Da dieses Spiel jeweils dann auch auf dfb.tv gestreamt wird, kann man hier aber leider nur von einem bedingten Mehrwert sprechen, obgleich der Free-TV-Sender sicher ein breiteres Publikum erreicht, als das Videoportal des DFB. Ein zusätzliches Spiel pro Spieltag springt dabei also nicht heraus. Mit (in der Regel) dem Spiel der FC Bayern-Frauen, das Magenta TV zeigt, kommt dann höchstens ein weiteres Spiel dazu. Pro Woche also maximal zwei, zumeist Wolfsburg oder München. Reicht das?
Mir nicht. Klar: Am Wochenende läuft genügend Fußball. Wann soll man denn die Frauen auch schauen? Aber ist es ein so gewaltiger Aufwand, einfach die Möglichkeit dazu bereitzustellen?
Offenbar ja. Und ich verstehe das. Der DFB als einer der kleinsten und dazu ärmsten Sportverbände der Welt kann unmöglich die Infrastruktur verfügbar machen, um alle Spiele zu streamen.
Gut, bleiben wir ernst. Wenn ich daran Interesse habe, kann ich jedes (also wirklich: jedes) Spiel der amerikanischen NWSL ansehen. Es kann doch nicht sein, dass das für die Frauen-Bundesliga nicht möglich ist. So gern brüstet sich der DFB damit, was er alles für seine Amateure tut und wie wichtig die für ihn sind und so weiter. Davon bemerke ich hier nichts.

Immerhin sorgt man auf Verbandsseite aber auch dafür, dass all das zu keinem größeren Problem wird. Denn der Frauenfußball wird schön klein gehalten. Eine Präsentation findet quasi nicht statt, ein Interesse wird nicht geweckt. Der DFB veröffentlicht lieber Videos davon, wie sich gestandene Nationalspielerinnen von eSportlern ein gutes Verständnis für ihren Sport attestieren lassen dürfen (hier) oder vom gemeinsamen Kochen (hier) (ja, ernsthaft).
Aber jetzt kommt ja die WM, danach wird alles anders. Der DFB wird zusammen mit den Öffentlich-Rechtlichen sicher eine längere Video-Reihe zur Mannschaft und allen nominierten Spielerinnen machen, wenn die bekannt sind. Bestimmt! Die ARD wird in den nächsten Tagen damit beginnen, vor der Tagesschau kurze Teaser zur WM zu zeigen. Bestimmt!

Selbst die Haltung der Frauenfußball betreibenden Vereine hierzulande ist eindeutig. Nachdem in den vergangenen Wochen und Monaten bei Club-Spielen in Spanien und Italien Zuschauerrekorde purzelten, ließ man sich (auf die Frage, ob man für das Champions League-Viertelfinalspiel gegen die beste Mannschaft der Welt in ein größeres Stadion wolle) beim VfL Wolfsburg zu der generösen Ansage herab, man habe keine Interesse daran, dadurch die Zuschauerschaft künstlich aufzublähen.
Was für ein Schlag ins Gesicht. Man wolle das Produkt nicht zum Nulltarif anbieten. Aber Werbung für das "Produkt" will man auch keine machen. Scheut man das Risiko? Vielleicht. 40 Millionen für einen durchschnittlichen Spieler als Ablöse zu zahlen, der floppt, geht in Ordnung. Aber ein paar Tausend Euro für ne Werbekampagne, billige Stadionplätze für mehr Unterstützung der Frauenmannschaft und vielleicht darauf resultierendes steigendes Interesse? Keine Chance.

Ich weiß nicht, ob Atletico das Risiko umsonst einging, als man an Madrider Kreuzungen riesige Werbeplakate für das Liga-Spiel gegen Barcelona aufbringen lies. Ich weiß nur, dass über 60.000 Zuschauer im Stadion waren. Und dass einige davon wiederkommen werden.
Der DFB läuft hier nicht Gefahr, zurückzufallen. Er ist es schon. Und wird es zu spät merken. Ebenso wie die Vereine der Frauen-Bundesliga.

Weshalb ich mich jetzt dennoch auf die WM freue?
Weil nicht nur der DFB in Frankreich vertreten sein wird. Natürlich werde ich mit der deutschen Mannschaft besonders mitfiebern. Aber auch mit der englischen. Und der spanischen. Und niederländischen (♥). Und der französischen. Und schwedischen. Und schottischen. (Ihr wisst, worauf ich hinaus will)
Weil ich mich auf den Sport an sich freue, auf volle Stadien mit Zuschauern, die ihr Team, ihre Frauenfußball-Auswahl sehen wollen. Auf die besondere Atmosphäre.
Weil ich sehen will, wie die englischen Lionesses auf der daheim erzeugten Euphoriewelle surfen, wie Vivianne Miedema in einem Spiel vier Tore schießt, Vicky Losada überraschend zur besten Spielerin gekürt wird und die Amerikanerinnen einfach nicht aufgeben.
Weil es mir letztlich egal ist, wo die Begeisterung herkommt, solange sie da ist. Es wird ein tolles Turnier mit vielen wunderbaren Szenen. All das wird mir wichtiger sein, als mich über die stiefmütterliche Behandlung des Frauenfußballs in Deutschland zu ärgern.

/br.

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