Mittwoch, 19. Juli 2023

Der Kader der DFB-Frauen für die WM 2023 // Analyse

Das ist jetzt eine etwas schwierige Situation. Nur vier Jahre nach meinem letzten Post hier hatte ich eigentlich vor, den Zustand unserer Nationalfrauen heute kritisch zu betrachten und ungefragt meinen Senf dazu zu geben. Leider lief das letzte Vorbereitungsspiel gegen Sambia (Niederlage, 2:3) derart bescheiden, dass es so scheinen würde, als wollte ich mir nur Luft machen. Also spare ich mir das für einen späteren Zeitpunkt auf und verweise stattdessen auf meinen vorletzten Blogbeitrag "Probleme", denn die darin beschriebenen Probleme sind die gleichen. 

Stattdessen wollen wir heute in guter, alter Tradition eine kleine Kaderanalyse machen, bei der ich so dreist sein werde, bei der ein oder anderen etwas mehr oder weniger zu schreiben als bei... Jetzt hab'  ich vergessen, wie der Satz enden sollte.

Außerdem verweise ich auf die Analyse von 2019, die ein oder andere taucht ja nachfolgend erneut auf und vielleicht ist es unterhaltsam, Vergleiche zu ziehen. (hier und hier)


TOR

Merle Frohms // Sie ist die unumstrittene Nummer 1. Die zuletzt vermehrten Vergleiche mit Manuel Neuer (also dem von 2014) finde ich etwas albern, aber mehr möchte ich auf die Reports von Sky auch nicht eingehen. Merle hat ihre ganz eigenen Qualitäten und von denen profitiert das DFB-Team sehr.

Ann-Katrin Berger // Ihre Leistungen sind eigentlich Grund genug dafür, dass Frohms als gar nicht so unumstrittene Nummer 1 gelten dürfte. Warum das nicht so ist, kann ich Ihnen nicht sagen. Fakt ist, im Kasten hat das deutsche Team ein Luxusproblem, dass man an anderer Stelle auch gern hätte. 

Stina Johannes // Sie könnte bei der WM ihr erstes A-Länderspiel überhaupt absolvieren, nachdem sie sich im erweiterten Kader gegen Ena Mahmutovic durchgesetzt hat - doch das ist wenig wahrscheinlich. Eine schöne Belohnung für eine starke Saison mit Frankfurt ist die Nominierung dennoch.


ABWEHR

Sara Doorsoun // Doorsoun blühte vergangene Saison bei den Frankfurterinnen ob ihrer Verantwortung und der erhöhten Spielzeit (21/22 Spiele) im Vergleich zum VfL wieder regelrecht auf, spielte eine tolle Saison und wird dem Team sowohl mit ihrer guten Form als auch ihrer Erfahrung helfen.

Chantal Hagel // Spielte eine ordentliche Saison für Hoffenheim und wurde daher freilich von Wolfsburg zur neuen Saison verpflichtet. Die zehn bisherigen Länderspiele waren bisher aber eher unauffällig. 

Marina Hegering // Wurde mit Wolfsburg nicht Deutsche Meisterin, dürfte also eigentlich nicht mit (nicht ernst gemeint). Solange MVT aber Cheftrainerin ist, wird Hegering spielen. Ich bin bekanntermaßen kein großer Fan, weil sie nicht so viel Sicherheit in der Defensive gibt, wie ihr nachgesagt wird. Sie kann mit großartigen Aktionen brillieren und toll nach vorn verteidigen, wenn sie aber einen (ihrer seltenen) Fehler macht, knallt's meistens. 

Kathrin Hendrich // Hat nach Merle Frohms die meisten Wolfsburger Minuten der vergangenen Bundesligasaison absolviert und das nicht aus Personalnot. Durch ihre sehr gute Form allein kommt man an dieser Nominierung nicht vorbei. Dazu kommt, dass sie mit Frohms, Hegering und Rauch einen Wolfsburger Defensiv-Block bildet, der ein entscheidender Vorteil werden könnte. 

Sophia Kleinherne // Die 22-jährige ist bei Frankfurt nicht wegzudenken und eine der wenigen Spielerinnen, die eventuell hinten rechts spielen kann. In der Innenverteidigung, wo sie für die Eintracht meist spielt, wird eher kein Startelfplatz sein. Könnte in einer denkbaren Dreierkette wichtig sein, die es aber nicht geben wird. Ihre große Zeit wird aber noch kommen. Genauso wie die von...

Sjoeke Nüsken // Sie dürfte den Frankfurterinnen durchaus fehlen, stand in allen Bundesligaspielen 90 Minuten auf dem Platz (außer den letzten 15 gegen Meppen). Der Schritt nach England und zum FC Chelsea, dieser tollen Mannschaft, scheint ein großer zu sein, ist es aber nicht - sie wird dort eine der Besten werden. Im DFB-Team sollte die 21-jährige eine größere Rolle spielen, wird sie in Zukunft auch.

Felicitas Rauch // Vor vier Jahren war ich noch enttäuscht, dass die Linksverteidigerin nicht mit nach Frankreich fuhr. Heuer kommt MVT an ihr nicht vorbei. Feli Rauch war in der abgelaufenen Saison die beste Spielerin der Bundesliga. Punkt.


Wir sehen: Man muss schon Sjoeke Nüsken als Abwehrspielerin führen, um für diesen Mannschaftsteil überhaupt 7 Spielerinnen zu haben. Klar: Lena Oberdorf kann auch Innenverteidigung spielen und vermutlich wird Voss-Tecklenburg wieder erfolglos irgendjemanden zur Rechtsverteidigerin umschulen wollen. Aber hier fehlt es an Breite, um auf eine Viererkette zu setzen. Sich jetzt mutig etwas anderes zu überlegen, dürfte zu spät sein. Ohnehin gilt die Cheftrainerin als eine von ihrer eigenen Spielidee sehr, sehr Überzeugte. Änderungen an der Formation wird es also nicht geben. 


MITTELFELD/ANGRIFF

Mit der deutschen Offensivabteilung könnte man eigentlich zwei Verbandsauswahlteams aufstellen. Alternativ könnte man mit einem klassischen 2-3-5 spielen. Haha. So unterhaltsam das auch wäre - das wird wohl nicht passieren. Stattdessen werden einige Spielerinnen nicht die Einsatzzeiten bekommen, die man sich für sie wünscht und dennoch wird der Quantitätsdruck gleichsam dafür sorgen, dass die notwendige Eingespieltheit nicht aufgebaut werden kann. Aber der Reihe nach:

Nicole Anyomi // Ich befürchte, sie wird wieder die Rechtsverteidigerin geben müssen, obwohl sie offensiv eine wichtigere Rolle spielen könnte. Unter Voss-Tecklenburg ist Anyomi bisher aber nicht stark gewesen, weil die Frankfurterin - wie auch eine andere Frankfurterin - nicht ins spielerische Konzept passt.

Jule Brand // Der Schritt nach Wolfsburg hat Jule Brand leider nicht gut getan, sie hat weniger Spielpraxis, die sie jedoch benötigt, und ihre Unbekümmertheit fehlt mir im Moment sehr. Wenn sie die wiederfindet und mit ihrem Tempo und ihrer Physis verbindet, kann sie eine Spielerin sein, die den Unterschied macht. 

Klara Bühl // Mit erst 22 Jahren 35 A-Länderspiele auf dem Buckel zu haben zeigt, wie talentiert und fähig Klara Bühl ist. Hatte großen Anteil an der Münchner Bundesliga-Meisterschaft und auch aus dem Nationalteam ist die Flügelspielerin kaum wegzudenken.

Sara Däbritz // Spielte eine passable erste Saison für Olympique Lyon, war zu Beginn verletzt und hatte deshalb nur begrenzte Einsätze. In der Nationalmannschaft waren die Leistungen in meinen Augen in den letzten Monaten ebenfalls höchstens das: passabel. Das wird sich zur WM hoffentlich ändern. Das Potential dafür hat sie auf jeden Fall.

Laura Freigang // Freigang ist auch ein bisschen ein Opfer der voss-tecklenburg'schen Spielweise. Im den Deutschen heiligen 4-2-3-1-System ist für ihren Spielstil als eher hängende denn als Einzelspitze kein Platz. Bedenkt man die Konkurrenz aus Schüller und Popp, ist auch nicht davon auszugehen, dass sie diesen Platz bekommt. Will man im Spiel taktisch etwas ändern, wäre sie auf jeden Fall eine ausgezeichnete Wahl.

Svenja Huth // Kampfgeist, Erfahrung, Laufstärke, Konstanz, eine tolle Persönlichkeit und viele Dinge mehr zeichnen Svenja Huth aus und sind enorm wichtig für's Nationalteam. Manchmal wünsche ich mir von ihr mehr Kreativität auf ihrem rechten Flügel. Sie wird vermutlich als Rechtsverteidigerin benötigt und das so-lala-okay machen. Ihre Talente wird sie dort aber nur eingeschränkt aufblitzen lassen können - aber derer sind ja viele, also...

Lena Lattwein // Lattwein wechselte vor zwei Jahren von Hoffenheim zum VfL Wolfsburg und ist dort Stammspielerin. Bei einem derart starken Kader zeigt das das hohe Niveau der Mittelfeldspielerin. Im DFB-Trikot hat sie dieses Niveau für mich noch nicht erreicht. Mit 23 Jahren hat sie aber noch viel Zeit.

Melanie Leupolz // Nach ihrem Wechsel auf die Insel zu Chelsea ist Leupolz eine noch bessere und reifere Spielerin geworden. Daran hat auch die Babypause nichts geändert. Dennoch wird sie, wie schon zuvor, unter Martina Voss-Tecklenburg keine große Rolle für die Startelf spielen, solange Oberdorf (für's Mittelfeld) verfügbar ist oder man nicht mit einer Doppel-Sechs spielt, die dann aber von Däbritz besetzt wird.

Sydney Lohmann // Die 23-jährige Mittelfeldspielerin ist eine feste Größe bei den Bayern, auch wenn sie immer wieder mal von (größeren und kleineren) gesundheitliche Problemen geplagt wird. Im Nationalteam aber ist die Konkurrenz noch größer. Ihr unbestrittenes Talent wird für Deutschland noch wichtig werden in der Zukunft, wenn sie von größeren Verletzungen verschont bleibt. Aber auch bei der WM wird sie ihre Einsätze bekommen, die sie hoffentlich nutzen kann.

Lina Magull // Eine der erfahrensten Spielerinnen im Team. Ihr Charakter und ihre technischen Fähigkeiten ragen für mich heraus. Bei den Bayern gehört sie zweifellos zu den Besten, in der Nationalmannschaft muss für mich aber noch etwas mehr kommen. Dabei würde helfen, sie nicht in ein so enges taktisches Korsett zu zweingen.

Lena Oberdorf // Obi wurde bei der EM in England als beste Nachwuchsspielerin ausgezeichnet. Das wird sie vielleicht auch bei dieser WM, aber ohne das "Nachwuchs". Gute Antizipation, harte, aber präzise Zweikampfführung und bei dieser ein großartiges Timing, gute Spieleröffnung - Oberdorf ist der Prototyp einer defensiven Mittelfeldspielerin und auf dieser Position trotz ihrer erst 22 Jahre für mich im Moment die Beste der Welt.

Alexandra Popp // Poppis Leistungen geben ihr so ziemlich immer Recht. Mit ihren 32 Jahren ist die Kapitänin aktuell besser denn je. Nachdem sie zuletzt auch weniger verletzungsanfällig war, als in früheren Jahren, ist sie eine absolute Konstante für Verein (Wolfsburg) und Nationalmannschaft, die jedem Gegner Respekt abverlangt. Aber man darf sich nicht zu sehr von ihr abhängig machen. Das gesamte Spiel darauf auszulegen, irgendwie den Ball auf ihren Kopf zu lenken, ist kein taktisches Konzept. Sie ist die perfekte Zielspielerin und kann auch vor der Abwehr abräumen, offenbarte aber zuletzt Probleme bei Chancenkreation. 

Lea Schüller // Steht im DFB-Trikot leider im Schatten von Alex Popp. Da man keine Experimente à la Doppelspitze (um Himmels Willen!) machen wird, wird sie wahrscheinlich zweite Wahl bleiben. Das ist schade, denn für mich ist Schüller eine komplette Stürmerin mit gutem Riecher und starkem Abschluss. 


Wer fehlt? Klar: Guilia Gwinn. Zwei Jahre ihrer jungen Karriere fielen Kreuzbandrissen zum Opfer. Auch wenn die 24-jährige medizinisch den Startschuss erhalten könnte, ist sie noch nicht soweit, mit zur WM zu fahren. Diese Entscheidung wird Martina Voss-Tecklenburg nicht leicht gefallen sein, doch sie hat (zusammen mit Gwinn) das Risiko gegen den Nutzen abgewogen und hier die richtige Entscheidung getroffen - so schade das auch ist.
Außerdem: Carolin Simon. Sie hat sich in den letzten Minuten des Vorbereitungsspiels gegen Sambia ebenfalls eine Kreuzbandriss zugezogen und muss sich, wie Gwinn, in die Liste derer einreihen, deren WM-Traum dieser verdammten Seuche zum Opfer fällt. 
Ich kann nur hoffen, dass es hier für die Frauen bald Fortschritte gibt. Leah Williamson, Viviane Miedema, Beth Mead, Delphine Cascarino, Janine Beckie, Catarina Macario, Martina Rosucci, Marie Katoto, Hanna Glas, Griedge Mbock, und, und, und.
Es sind zu viele, die fehlen. 

Kurz schütteln. Okay.

Wie könnten die DFB-Frauen spielen?
Vermutlich ungefähr so:










Was mir gefallen würde: