Die Viertelfinals sind gespielt. Die USA, England, Niederlande und Schweden stehen im Halbfinale der Fußball-WM der Frauen 2019. Gastgeber Frankreich hat es nicht geschafft - ein Problem. Und wenn wir die deutsche Brille aufsetzen, haben wir auch noch ein zweites.
Bereits in meiner Betrachtung der Favoritinnen (hier) wies ich darauf hin, dass Frankreich 2019 Ähnliches blühen könnte, wie Deutschland 2011. Und tatsächlich sind die Parallelen erstaunlich: Große Aufmerksamkeit, riesige Hoffnungen für den Frauenfußball im eigenen Land, Ausscheiden bereits im Viertelfinale.
Für den Frauenfußball in Deutschland war die WM 2011 insgesamt kontraproduktiv, die Zuschauerzahlen etwa gehen seit dem in der höchsten Spielklasse stetig zurück. Zwar hatte die Frauen-Bundesliga noch immer großes Gewicht im europäischen Vergleich, doch auch die stellt heute keine Champions-League-Sieger mehr. Der Frauenfußball hierzulande begann, an Bedeutung und Aufmerksamkeit zu verlieren.
Auf das Nachbarland könnte nun Ähnliches zukommen. Denn auch die Französinnen hätten dieses Spiel gegen die USA nicht verlieren müssen. Immerhin gibt es auch Unterschiede: 2011 hatten nicht viele mit Japan gerechnet. Auch wenn das Team später Weltmeister wurde, blieb das Ausscheiden eine Enttäuschung - insbesondere weil die DFB-Auswahl als klarer Favorit ins Rennen ging, nachdem man die beiden letzten Weltmeisterschaften gewinnen konnte. Solche Erfolge im Vorfeld konnte Frankreich nicht annähernd vorweisen und spielte überdies selbst gegen die amtierenden Weltmeisterinnen und vermeintlich stärkste Mannschaft. Das relativiert die Ernüchterung - und hoffentlich auch die Folgen.
Die Niederlage Deutschlands gegen Schweden indes ist eine, über die ich ausführlicher schreiben möchte und die ich im Zusammenhang mit dem gesamten Turnier sehe. Denn es gibt einiges, was ich hinterfragen muss.
Einerseits die taktische Ausrichtung und die Spielidee von Martina Voss-Tecklenburg. Fakt ist: Die Bundestrainerin hatte gerade mal so ein halbes Jahr, um ihr Team zu finden und ihr Konzept an die Frau zu bringen. Fakt ist aber auch, dass sie eine intakte Mannschaft übernahm. Während der Vorbereitung wirkte es so, als würde sie auf diesem Fundament aufbauen wollen. Doch bei der WM machte die Auswahl einen anderen Eindruck auf mich. Alex Popp & Co. blieben gegen defensiv gut stehende Gegner nahezu ungefährlich und ließen spielerische Ideen für den Torerfolg vermissen. Immer wieder lief man sich fest, traute sich immer wieder in den falschen Momenten den Torschuss, der dann abgeblockt wurde, ließ im Flügelspiel immer wieder Probleme bei den Flanken - sowohl in Timing als auch Zielgenauigkeit - sichtbar werden.
Besser lief es gegen Südafrika und Nigeria. Doch bei allem Respekt: Beide sind nicht mit Spanien oder Schweden zu vergleichen. (China lass' ich mal außen vor, das war sowieso ein ganz eigenes Spiel.)
Die ersten vier Begegnungen der WM blieb das Team von Martina Voss-Tecklenburg also ohne Gegentreffer. Leider schien sich irgendjemand darauf tatsächlich etwas einzubilden, war dieser Umstand doch allein gegnerischer Abschlussschwäche und einer Menge Glück zu verdanken. Doch dazu später noch.
Gegen die Skandinavierinnen lief es dann in den ersten 20 Minuten richtig gut. Mit Tempo und Spielwitz nach vorne, überall eine Anspielstation, belohnt mit dem sehenswerten 1:0. So wollten wir das alle sehen.
Der unnötige Ausgleich erwuchs einem schwedischen Befreiungsschlag. Die kapitale Fehleinschätzung und daraus resultierende Unfähigkeit von Hegering, den Ball wegzuköpfen, foppte dann auch gleich Doorsoun und Simon, die im Gegensatz zu Jakobsson nicht antizipierten und nicht mehr eingreifen konnten. 1:1.
Was dann folgte, wird für mich unbegreiflich bleiben. Plötzlich war die gesamte hervorragende Spielanlage weg, jeder spielerische Faden verloren. Dass man nun doch ein Gegentor kassierte, stieg den Akteurinnen offenbar derart in den Kopf, dass sie an den guten Beginn nicht mehr anknüpfen konnten. Auf einmal spielte man wieder gegen China. Diesmal ohne Happy End.
Nachdem man sich zuvor von Partie zu Partie etwas steigerte, gelang dies gegen Schweden nicht. Im Gegenteil. Dabei brauchen wir ein Fußballspiel nicht zum Hexenwerk zu erheben, um zu wissen, dass die Gründe vielfältig sein dürften - und für mich auch schon vorher im Turnier zu sehen waren.
Insbesondere setze ich hier bei der Personalauswahl an. Beispiel Caro Simon. Sie spielte auf der linken Abwehrseite für Verena Schweers und man merkte ihr an, dass sie nicht so richtig im Spielfluss war. Das soll jetzt nicht heißen, dass sie nicht hätte spielen sollen. Vielmehr hätte sie zuvor mehr spielen sollen. Denn Schweers hat eine schwache WM gespielt, brachte hinten selten Sicherheit und war offensiv gar nicht zu gebrauchen. Vom Eckball auf Leupolz gegen Südafrika abgesehen kam von ihr gefühlt nicht ein einziger brauchbarer Ball in den generischen Strafraum.
Sara Doorsoun begann gegen China schwach und verunsichert, verbesserte sich dann jedoch deutlich und machte ein insgesamt besseres Turnier als ihre Partnerin in der Innenverteidigung, Marina Hegering. Dass die Bundestrainerin an ihr festhielt, hatte seine Gründe, sicher. Ich bleibe allerdings dabei, dass Hegering mich nicht überzeugt.
Zu Beginn der zweiten Halbzeit gegen Schweden die verletzte und nicht eingespielte Dzsenifer Marozsán zu bringen und zu erwarten, dass sie die Partie an sich zieht, war - soviel können wir im Nachhinein sicherlich sagen - ein Fehler. Allerdings einer, der vorhersehbar war. Unabhängig davon, dass ich immer ein Gegner davon bin, die Leistung einer Mannschaft von einer Spielerin abhängig zu machen (wohin Voss-Tecklenburg beinahe schon tendierte), wäre mir die Variante, sie von Beginn an zu bringen und zu schauen, wie weit es geht, deutlich lieber gewesen. Letztlich hatte Maro keinen Einfluss auf das Spiel, der Wechsel war völlig verschenkt. Warum wurde keine Klara Bühl gebracht? Die zeigte gegen Spanien einen starken Auftritt und war als Joker dort gut in der Lage, Lücken zu reißen und gefährlich zu werden. Besonders gegen Schweden hätte das helfen können und wäre für mich aussichtsreicher gewesen, als die Einwechslung von Marozsán.
Was war mit Melanie Leupolz? Gegen Nigeria ging sie zur Halbzeit raus, war sichtbar fertig. Möglicherweise bekam ihr die extreme Hitze nicht. Ich kann ihre Nichtberücksichtigung sonst nicht erklären. Voss-Tecklenburg übrigens auch nicht. Die merkte bereits nach dem China-Spiel an, dass sie Leupolz' Auswechslung dort nach 60 Minuten sportlich nicht recht rechtfertigen konnte. Sie wollte sie schonen, denn sie setze aber auf sie, weil sie eine Spielerin ist, die man im Turnier noch brauchen würde. Im Viertelfinale gegen Schweden allerdings nicht. So hat Leupolz nicht ein einziges Spiel durchgespielt. Naja, immerhin Kräfte gespart.
Selbst eine Svenja Huth hatte keine glückliche Zeit auf dem Platz. Sie war - wie immer - enorm engagiert und laufstark. Doch auch ihr gelang wenig. Auch sie traf zu oft die falschen Entscheidungen.
Was wir gesehen haben im letzten Viertelfinalspiel war kein Schock, kein überragender Gegner, kein Leistungseinbruch. Es war ein Zusammenschnitt des WM-Verlaufs aus deutscher Sicht. Lichte Momente und phasenweise Dominanz. Aber ebenso Abwehrfauxpas und Ideenlosigkeit.
Auch wenn eine deutsche Niederlage nicht notwendig war: die Schwedinnen haben nach einer couragierten Leistung einen historischen Fluch beendet (24 Jahre kein Pflichtspielsieg gegen Deutschland) und dafür muss man gratulieren. Statistiken, wie auch die über ein Jahr andauernde Ungeschlagen-Serie für Deutschland, bedeuten auf dem Platz aber eben gar nichts.
Für die DFB-Elf wäre spätestens im Finale vermutlich auch Schluss gewesen. Wenn man die Spiele der USA und Englands sieht, muss man feststellen, dass deren Spielanlage deutlich reifer ist. Wenn man sieht, wie klug die Lionesses umschalten, wie schnell sie vorm Tor stehen können, wie effektiv sie in der Chancenverwertung sind und in der Lage, in den knappsten Momenten die richtigen Entscheidungen zu treffen, erkennt man, dass die deutsche Fußballnationalmannschaft der Frauen noch einen weiten Weg vor sich hat.
Den wird sie mit Martina Voss-Tecklenburg gehen, deren Position freilich nicht zur Debatte steht. Doch er wird nicht über das Olympische Turnier nächstes Jahr in Tokio führen, was ich besonders schade finde. Dieser Weg wird allerdings von mehr begleitet werden müssen, als ein paar taktischen Kniffen. Der deutsche Frauenfußball gerät weiter ins Hintertreffen. Andere Nationen entwickeln sich, auch in den heimischen Ligen, besser. Hier müssen schleunigst die Strukturen hinterfragt werden. Außer der Bundestrainerin sind also die Vereine und der DFB selbst ebenfalls gefragt. Wenn der DFB-Vize-Dings jetzt von einem "tollen Auftritt" spricht, zeigt das allerdings wieder deutlich, wie ernsthaft man sich mit den Problemen beschäftigen will. Denn für den Frauenfußball in Deutschland hat dieses Ergebnis gewiss keine positiven Auswirkungen
Doch um heute nicht nur negativ zu wirken: Ich wünsche unseren Spielerinnen alles Gute. Ich weiß, ihr habt alles gegeben und seid noch enttäuschter, als jeder Zuschauer vor dem Fernseher oder im Stadion. Kopf hoch! Knabbert dran, dann schüttelt es ab und kommt stärker zurück! Bald ist wieder EM.