Dieser Beitrag wird sich kritisch mit dem Turnierverlauf und der sportlichen Leitung und Exekutive rund um die aktuelle Zusammenstellung der Fußballnationalmannschaft der Frauen befassen (Das wollte er übrigens schon vor dem Ausscheiden der DFB-Frauen gegen Dänemark am 30.07.2017 gegen 13.45 Uhr) und darüber hinaus mit den Auftritten seitdem im Rahmen der WM-Qualifikation für die Endrunde in Frankreich 2019 (Stand: 25.10.2017). Vorweg sei klar gestellt, dass jedweder geäußerte Unmut o.Ä. nicht als persönlicher Angriff gemeint oder zu werten ist oder irgendwelche Tugenden, Engagement oder Fähigkeiten in Frage gestellt werden sollen. Es soll vielmehr ein persönlicher, subjektiver Eindruck vermittelt werden.
Experimente funktionieren beim DFB nur selten. 1998-2000 mit Erich Ribbeck, 2000-2004 mit Rudi Völler (nein, die aus Versehen geholte Vizeweltmeisterschaft zählt nicht).
Natürlich: Es ist stets ein Risiko dabei, unerfahrene Trainer mit einer so verantwortungsvollen und sicherlich nicht ganz einfachen Aufgabe wie dem Amt des Bundestrainers zu betrauen. Deswegen ist das in der Regel auch keine gute Idee. Gut, nun war Erich Ribbeck ganz gewiss kein unerfahrener Mann, bekanntermaßen aber nicht der Wunschkandidat des DFB und insoweit schon ein Experiment.
Das Scheitern muss dabei gar nicht mal an den Talenten, dem Engagement oder der Willensstärke liegen.
2004 wagte man im Herrenbereich ein weiteres Experiment. Jürgen Klinsmann wurde Bundestrainer. Und nicht nur das: er führte zusammen mit seinem Stab auch neue Strukturen ein. Sicherlich können wir uns darauf einigen, hier von einem erfolgreichen Experiment zu sprechen. Aber nicht nur die Erfolgsquote von 33% sondern auch die Vergleichbarkeit stimmen nicht ganz. Im Zusammenhang mit Klinsmann griffen auch noch andere Mechanismen. Wann immer man das "große Ganze" also von einer Person abhängig machte, ging es - salopp formuliert - in die Hose. (Die zum Vergleichaufzeigen notwendige Fixierung auf den Männerbereich endet jetzt übrigens.)
Ein weiteres Experiment - so mutet es jedenfalls an - war die Nominierung von Steffi Jones als Nachfolgerin von Silvia Neid, 2005 bis 2016 Bundestrainerin der DFB-Auswahl der Frauen. Und eine überaus erfolgreiche dazu. 2007 Weltmeister, 2009 und 2013 Europameister, 2016 Olympiasieger - um nur die bedeutendsten zu nennen. Auch sie kam 2005 ohne Erfahrung auf einem Chefposten, war zuvor Co-Trainerin. Jedoch - nur um eventuelle Vergleiche gleich zu unterbinden - nicht ein Jahr, wie Steffi Jones' Praktikum unter ihr, sondern bereits seit 1996.
Nun haben sich die Zeiten und auch die Kompetenzen im DFB seit den späten Neunzigern glücklicherweise geändert. Man weiß, was man tut, steht zu seinen Entscheidungen.
Doch wusste man mit Steffi Jones wirklich, was man tat? Und wird man zu ihr stehen?
Um's vorweg zu nehmen: Ich mochte Jones immer und tue es auch immer noch. Sie war eine tolle Spielerin und war in ihren Tätigkeiten beim DFB immer kompetent. Dazu ist sie eine äußerst angenehme Person, die kaum jemandem unsympathisch ist. Da war Silvia Neid sicherlich streitbarer (und auch sie mochte ich, vielleicht sogar deshalb). Aber nun Schluss mit den Vergleichen.
Jones' Plan war es, den Fußball der Nationalmannschaft offensiver zu gestalten. Warum auch immer. Ihr erster Auftritt an der Seitenlinie war Russland in der EM-Qualifikation für's Turnier 2017 in den Niederlanden (Gruppensieg stand bereits fest). Ein 4:0, kein Gradmesser. Es folgte ein 1:0-Sieg gegen Ungarn, den ich sah und der mich enttäuscht zurück ließ. Langweiliger und uninspirierter Auftritt, keine Spielfreude. Egal, kommt ja vor. Die Ungarinnen rangieren aktuell auf Platz 39 der FIFA-Weltrangliste, was (bei allem Respekt) geschmeichelt ist. Es folgten Spiele gegen bessere Teams, dann auch mit Gegentoren, eine einzige Niederlage gegen die USA, nicht ein einziges überzeugendes Spiel, abgesehen vom letzten Test vor dem EM-Tunier gegen Brasilien - einem Weltklasseteam, das auf Ungarn-Niveau agierte.
Insofern muss man sich dann schon fragen, ob die von der Bundestrainerin ausgegebenen Haltung der "positive Arroganz" angemessen ist oder man hier wirklich Probleme bei der Selbstwahrnehmung zeigt. Klar, das deutsche Team befindet sich nach Olympia im Umbruch und ist mit Alexandra Popp (wichtiger Bestandteil) sowie Melanie Leupolz (unersetzlich) ersatzgeschwächt. Vielleicht musste man nicht zwingend den siebten EM-Triumph in Folge voraussetzen. Von positiver Arroganz zu sprechen, nachdem man die bisherigen Leistungen dieses Kaders realistisch zu beurteilen suchte, ist mir schleierhaft, passt aber zur (bis zur EM) völlig unkritischen Berichterstattung über die Mannschaft und ihre Führung. Vielleicht wäre Bescheidenheit zielführender gewesen. Spekulation.
Was gehörte noch zum Konzept von Jones uns ihrem Team bei der EM? Klar: Gute Laune. Spaß bei der Arbeit. Lachen und Leichtigkeit. Und das in einem Maße, wie es mir ehrlich gesagt zu viel wäre. Man konnte den Eindruck bekommen, dass sich die Mädels auf Klassenfahrt befinden, bei der man das obligatorische Rahmenpflichtprogramm halt einfach so nebenher mit abspult, um das es aber eigentlich nicht geht. Sie werden mir sicher zustimmen, dass das nicht Sinn der Sache und so ganz bestimmt auch nicht gedacht war. Steffi Jones schien das im Nachhinein auch einzusehen. Natürlich soll man auch nicht mit Felix Magath in Klausur gehen. Dennoch: gute Laune und der ganze Kladeradatsch stellen sich doch ein, wenn man die Mannschaft gut zusammengestellt hat, die Charaktere zueinander passen und man gemeinsame Erfolgserlebnisse hat. Es mutete jedoch an, als wolle man den umgekehren Weg gehen und durch die positive Stimmung zum Erfolg kommen. Das funktioniert auch. In Filmen. Und in Märchen. Vom deutschen Team abgesehen nahmen aber noch ein paar andere Mannschaften teil, die Biss, gute Strukturen und immer bessere Spielerinnen aufzubieten hatten. Und die wussten genau, worum es geht, was erwartet wurde und dass hier Leistungssport geboten war. Es geht um alles - auch um die Entwicklung des Sports an sich. Die Frauenfußballwelt rüstet auf, Freunde. Nicht nur in Deutschland und den USA. (Doch dazu in einem anderen Kommentar.)
Was fiel noch auf? Die (gefühlt) totale Inkonsequenz bei der Mannschaftszusammenstellung über das gesamte Turnier hinweg. Natürlich kann man nicht immer mit den selben elf Frauen auf dem Platz stehen. Aber hier fehlte mir schlicht jede Struktur sowie das Vertrauen in die eigenen Entscheidungen und vor allem die Spielerinnen. Insbesondere Letzteres ist meines Erachtens ein großes Problem gewesen. Beispiel: Mandy Islacker. Bundesliga-Torschützenkönigin. Nicht für die Startelf vorgesehen, im ersten Spiel gegen Schweden für die verletzte Svenja Huth in der ersten Hälfte gekommen. Islacker hatte immer wieder gute Möglichkeiten, scheiterte stets, blieb für mich jedoch auch in den anderen Spielen die Gefährlichste vorm gegnerischen Kasten. Was ihr fehlte war - denke ich - die Sicherheit und auch das Vertrauen. Irgendwann wäre der Knoten vermutlich geplatzt. So etwas sollte ich als sportlicher Leiter erkennen und entsprechend handeln. Was tat Jones? Auswechslung gegen Italien im zweiten Spiel. Auswechslung gegen Russland im dritten Spiel schon zur Halbzeit. Gefühlt entzog sie ihr das Vertrauen. Und brachte sie im Viertelfinale gegen Dänemark, als man längst jeglichen spielerischen Faden verloren hatte. Vielleicht sehe ich das auch etwas zu eng, aber derlei zog sich für mich durch's gesamte Turnier. Ständige Wechsel in Formation und Personal.
Oder die Kapitänsfrage: Dzsenifer Maroszán. Ganz ohne jeden Zweifel eine der herausragendsden Fußballerinnen ihrer Generation. Aber die Frau ist 25 Jahre jung! Ohne ihr den Charakter oder die Fähigkeiten hierzu absprechen zu wollen: Ich hätte eine andere Wahl getroffen. Eine Maroszan will ich spielen sehen, so unbekümmert wie möglich im Offensivbereich ihre Strippen ziehend und auch mal eigenwillig agierend. Als Kapitän will ich jemanden mit Erfahrung, jemanden, den die jungen Spielerinnen schon in der C-Jungend im Nationaldress sahen und die mir ordentlich die Leviten liest, wenn ich ihr im Training blöd komme (und es deshalb auch gar nicht mache). Eine Babett Peter zum Beispiel. Oder von mir aus Anja Mittag (danke für viele Jahre in der DFB-Auswahl an dieser Stelle). Oder eine Simone Laudehr, die man erschießen müsste, damit sie aufhört zu laufen und sich aufzureiben (gut, die war nun leider auch verletzt). Sicherlich: Steffi Jones wird sich etwas dabei gedacht haben. Ich weiß nur nicht, was.
Es kam letztlich, wie es kommen musste: Deutschland scheiterte am späteren Finalisten Dänemark, in einem Spiel zum Vergessen. Dann schrillten auf einmal überall die Alarmglocken. Die Medien stellten plötzlich die Frage, ob das alles richtig so war, und Jones die richtige Frau für die Stelle. Ich war fassungslos. Plötzlich stand alles infrage, was man zuvor völlig kritiklos unhinterfragt gelassen hatte. Und der DFB? Der will analysieren, warum und wieso, hat dann von Jones gehört, warum und wieso. Der will einen klaren Fahrplan, ein Konzept, bekommt eines von Jones. Der spricht im Anschluss sein Vertrauen aus und lässt Jones weitermachen. Immerhin: man steht zu ihr und verzichtet auf Kurzschlussentscheidungen aus dem enttäuschten Bauch heraus. Ich unterstelle jedoch, dass diese Entscheidung auch mit mangelnden Alternativen zu tun hat, so wie es auch schon im Vorjahr der Fall war. Wer soll's denn machen?
In der Hinterhand hat man niemanden. Woher auch? An dieser Stelle einmal die Logik des DFB formuliert: Man bestand im Führungsgremium darauf, den Posten des Nationaltrainers der Frauen auch mit einer Frau zu besetzen, da alles andere aus irgendeinem komischen Grund ein "Rückschritt" wäre. Hm ja, okay, wieso nicht. Doch immer, wenn es auf Kompetenzen ankommt, finde ich eine Besetzung nach Geschlecht reichlich unpassend. Sei's drum. Die Kehrseite: Der Frauenfußball. Das Stiefkind. Das mit viel Fleiß und harter Arbeit letztlich wirklich einen guten Schulabschluss gemacht hat. Für dessen Hochschulwerdegang die DFB-Eltern aber nicht aufkommen wollen. Und so geschah es, dass man irgendwie versäumt hat, die tolle Trainerausbildung im Männerbereich auch auf den Frauen zu adaptieren oder das attraktiv zu gestalten. Schade.
Also weiter Jones. Ab in die WM-Qualifikation für Frankreich 2019! Der erste Gegner hieß Slowenien, wurde mit 6:0 nach Hause geschickt. Da ich das Spiel und auch das nachfolgende nicht verfolgen konnte, zur Orientierung die Positionierung in der Weltrangliste laut FIFA: 58. Es folgte ein 1:0 beim FIFA-37. in Ústí nad Labem (Tschechische Republik). Danach: das Schicksalsspiel. Das Spiel, in dem Jones mit ihrem Team zeigen wird, dass es noch immer zur Weltspitze gehört; gegen den stärksten Gegner der Quali-Gruppe, der trotz Vorrundenaus ein stellenweise starkes EM-Tunier gespielt hat: Island (irgendwie liest sich das ziemlich ironisch, ist aber ein Trugschluss). Die #dottirs nähern sich der Spitze nach und nach an, Spielerinnen wie Dagný Brynjarsdóttir (Portland Thorns, USA, gerade dort die Meisterschaft geholt) oder Sara Bjork Gunnarsdóttir (VfL Wolfsburg) sind international gefragt und nur die prominentesten. Dennoch ein Gegner, den man schlagen muss. Die Isländerinnen fetzen mir und kämpfen mit tollem Einsatz, haben aber noch einen weiten Weg vor sich. Schön an diesem 20. Oktober 2017 war jedoch, dass ihnen die deutsche Mannschaft auf eben diesem Weg sehr weit entgegengekommen ist. Bei diesem unerwartet auf Augenhöhe stattfindendem Duell vor eigenem (!) Publikum geschah dann Historisches. Island gewann mit 3:2. Verdient. Die letzte Niederlage einer DFB-Auswahl der Frauen in einem WM-Qualifikationsspiel datiert vom *hust* 17.06.1998. Das kann mit dem Hintergrund des verpatzten EM-Turniers durchaus für nervöses Knaubeln an den Fingernägeln sorgen. Doch was im Anschluss geschah, war für mich noch bemerkenswerter.
Steffi Jones, die nach eigener Aussage stets mit sich gehadert hat, wenn es darum ging, mal zu meckern, stellt sich vor die Kamera und kritisiert die Mannschaft und deren Willen, das Spiel zu gewinnen, spricht ihr Einsatz und Spielfreude ab. Sie selbst und ihr Stab habe die Mannschaft perfekt vorbereitet. Bei allem Respekt - das ist hanebüchener Müll. Islands Spielerinnen sind groß gewachsen, körperlich robust, setzen sich entsprechend ein und versuchen mit schnellen Gegenstößen zum Erfolg zu kommen. Wenn ich mir darüber im Klaren bin, verbiete ich flügellastiges Spiel mit hohen Flanken, all zu weites Aufrücken von Abwehrspielerinnen, die mit dem Tempo einer Brynjarsdóttir nicht mithalten können. Und vor allem verheize ich nicht die Fähigkeiten einer Melanie Leupolz in deren ersten Länderspiel seit über einem Jahr als Spielmacherin (Und dabei habe ich mich so gefreut, sie wieder auf dem Platz zu sehen). Abgesehen von dem krassen Gegensatz zu Jones' sonstig (wenigstens unterstellten) blühend freundlichen Gemüt, empfand ich dieses Verhalten und die Aussagen als völlig unangemessen. So kann man viel Kredit in der Mannschaft verspielen - insbesondere, wenn man falsch liegt.
Interessent war noch das Folgespiel (gegen die Färöer Inseln, 11:0, 24.10.2017). Nachdem es zur Halbzeit bereits 6:0 für's deutsche Team gegen völlig überforderte Färöerinnen (?) stand, muss sich DFB-Präsiden Reinhard Grindel wohl so geäußert haben, dass Jones auf Bewährung spielt, die Färöer Inseln unabhängig von der Anzahl der Tore keinen Gradmesser darstellen. Ich habe das Spiel gesehen. Gefiel mir nicht. Viele Tore gab es, ja, und das ist klasse. Doch mir fielen sehr häufig beispielsweise Zweikämpfe auf, die gegen die meisten anderen Gegner verloren worden wären; Pässe, die die meisten anderen Gegner abgefangen hätten; Fehleinschätzungen, die andere Gegner gnadenlos ausgenutzt hätten.
Alexandra Popp sagte nach dem Spiel gegen die Färöer, dass es möglicherweise "genau der richtige Gegner" sei, um etwas Selbstvertrauen zu tanken. Find' ich nicht. Hier war gar nichts zu gewinnen, außer der Erkenntnis, dass Aluminium wirklich strapazierfähig ist. Dass man gegen die - und das soll bitte nicht als Respektlosigkeit verstanden werden - schwächste Frauenmannschaft, die ich bisher gesehen habe, zweistellig gewinnt, sagt mir gar nichts und und deutet für mich auch keinen Schritt in gar keine Richtung an.
Nicht nur aufgrund des Ergebnisses gegen Island sondern vor allem wegen dem, was ich auf dem Platz sehe, ist der deutsche Frauenfußball vom Olympiasieg, der sicherlich mit der Weltmeisterschaft auf Augenhöhe zu betrachten ist, zum oberen Mittelmaß gestürzt. Steffi Jones' "Bewährungsfrist" läuft nun wohl bis (wenigstens) 24.11.2017. Dann empfängt man Frankreich zum freundschaftlichen Test. Ein echter Gradmesser.